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COPYRIGHT NOTICE: The content of this website, including text and images, is the property of The Nietzsche Channel. Reproduction in any form is strictly prohibited. © The Nietzsche Channel. Miscellaneous items we are working on: book projects and website content. 1865 Correspondence.
Bonn, 2. Februar 1865: Meine liebe Mamma, ich möchte vor allen Dingen eine gute Feder haben, um Dir einen recht hübschen Brief schreiben zu können. Denn diese hier kritzelt mir viel zu sehr. Sodann möchte ich Dir eine frische blühende Hyacinthe schicken, denn keine Blume erinnert mich so lebhaft an Deinen lieben Geburtstag2 als diese. Endlich möchte ich so viel Vermögen haben, um Dir einen kleinen Morgenbesuch zu machen und meine besten, herzlichsten Wünsche in persona auszusprechen. "Da's aber nicht kann sein, Das ist traurig, nicht wahr? Aber in zwei Monaten ist auch diese Zeit der Trennung überwunden. Heute aber werden wir recht, recht lebhaft an einander denken, und wenn Ihr zu Mittag Karpfen eßt, so werde ich einen Wohlgeschmack davon auf der Zunge haben. Wie sehr habe ich mich über Deinen letzten recht ausführlichen Brief4 gefreut. Hatte ich doch seit Neujahr noch keinen Brief bekommen. Vor ein paar Tagen habe ich nun freilich vom Onkel Edmund5 vielerlei über sein Befinden und über Familienverhältnisse gehört. Dagegen vermisse ich immer noch Nachricht von Gustav und Wilhelm,6 denen ich vor und nach Weihnachten geschrieben habe.7 Hat Euch Gersdorff und Kuttig8 einmal wieder besucht?9 Beide sind an der Reihe mir wieder zu schreiben, aber Gersd[orff] wird wenig Zeit des bevorstehenden Examens wegen haben.10 Von meinem Leben kann ich Dir mancherlei erzählen. Viele, ungewöhnlich viele Kunstgenüsse. Donnerstag ein Gesangvereinsconzert11 von einer Vortrefflichkeit, wie ich noch keines gehört. Freitag die Friederike Goßmann in meheren reizenden kleinen Lustspielen.12 Von ihr muß ich Euch noch viel erzählen, Du liebe Lisbeth würdest fabelhaft "enchantirt" sein, wenn Du sie gesehn.13 Sie trat auf in der Grille,14 in der Widerspenstgen Zähmung,15 in "Feuer in der Mädchenschule"16 und "Sie schreibt an sich selbst,"17 zuletzt "Sie hat ihr Herz entdeckt."18 Wir waren natürlich sammt und sonders in sie verliebt, heulten auf dem Kneipabend die Lieder, die sie gesungen und rieben auf ihr Wohl einen Salamander.19 In Köln habe ich Sonntag die Bürde-Ney gehört als Valentine in Meierbers Hugenotten.20 Nicht wahr, das ist sehr viel hintereinander? Was meine Ferien betrifft, so kann ich noch nichts Bestimmteres schreiben, als daß ich Anfangs April kommen werde. Das ist nun sicher, daß wir für die Zeit unsres Zusammenseins ein Festprogramm entwerfen müssen. Länger als ein Jahr kann ich übrigens bestimmt nicht in Bonn bleiben, das ist mir deutlich. Daß ich den nöthigen Nutzen von Bonn ziehe, das hoffe ich. Daß der Aufenthalt viel Geld kostet, das weiß ich. Ich lebe durchaus in keiner Beziehung verschwenderisch, aber die Hausrechnungen sind immer sehr hoch. Ich will Dir nur schreiben, was ich augenblicklich alles bezahlen muß — alles das, was noch tüchtig warten kann, ungerechnet — noch 30 Thl. an meinen Wirth, 10 Th. an einen Freund,21 anfangs Januar entliehen, und mindestens 15 Thl. an Handwerker, Kneipwirthe usw. Das ist doch recht böse. Ich erzürne mich oft darüber, daß Geld und Metall so wenig Stand hält. Spätere Semester werden gewiß viel billiger werden. Aber, Maman, wenn Du glaubst, daß ich mit 30 Thl. pr. Mon. auskommen kann, so ist das leider sehr unrichtig. Das ist indessen alles weniger angenehm als abstoßend. Deshalb gehe ich darüber hinweg und spreche bloß den Wunsch aus, möglichst viel Geld möglichst bald zu bekommen, da es eine unangenehme Empfindung ist, alle Morgen einige Philister an die Thür klopfen zu hören, ohne Geld zu haben. Daß Euch die Lieder22 im Allgemeinen gefallen, freut mich recht sehr. Ich habe über dieselben mit dem hiesigen Direktor Brambach ausführlich gesprochen. Nun habe ich mir zwar fest vorgenommen, in diesem Jahre nichts zu componieren. Er rieth mir sehr an, Unterricht im Contrapunkt zu nehmen. Aber ich habe kein Vermögen dazu. Meine Gründe, nichts zu componieren, will ich Euch mündlich mittheilen. Weißt Du nicht ein hübsches Geschenk, das ich dem Manne machen könnte? Ich nehme nicht gern Gefälligkeiten an, wenn ich nicht wieder welche erweisen kann. Noch dies: ich bin für den hiesigen Gustav-Adolfsverein thätig. Nächstens werde ich darin einen Vortrag halten.23 Noch dies: meine Wendung zur Philologie ist entschieden. Beides zu studieren ist etwas Halbes.24 Und zum Schluß, liebe Mama, wende ich mich wieder zu Dir, um Dir noch einmal das Beste und Schönste zu wünschen, was ich nur kann. Wir wollen alle drei recht angelegentlich wünschen, daß Dir das folgende Jahr ohne Störungen und Betrübnisse vorübergehe, und wir, meine liebe Lisbeth und ich, wollen mit besten Kräften dazu beitragen. Daß Du mich auf allen meinen Wegen mit den herzlichsten Gedanken begleitest, weiß ich, liebe Mama. Und daß selbst das Leben auf der Universität reich an unangenehmen Erfahrungen und inneren Mißstimmungen ist, das ist leider wahr. Drum wollen wir mit liebevollem Thun und Denken unsre Lebensbahnen uns gegenseitig ausschmücken. Lebe recht, recht wohl, liebe Mama. Grüße an die lieben Tanten!25 Dein Fritz. 1. Franziska Nietzsche, at 25, ca. 1850. Two reproductions: 1. by Atelier Hertel, Weimar; and 2. by Louis Held, Weimar. GSA 101/315. The date of the photo is uncertain. GSA lists it as 1845, and Nietzsche Chronik as ca. 1850. See Friedrich Nietzsche. Chronik in Bildern und Texten. München: Hanser, 2000, 13.
Naumburg, 26. Mai 1865: Inniggeliebter Fritz! Du wirst jetzt immer sehr sehnsüchtig nach einem Brief ausgeschaut haben, und wirst Dich wundern, daß wir ganz und gar in Trubel und Vergnügen unterzugehen scheinen, und es ist allerdings in der letzten Zeit schlimm gewesen. Erst hatten wir den Maurer und als wir den eben expediert hatten kam Abend ½10 Uhr Tante Ida1 höchst vergnügt an; Sonnabend2 große Vorbereitung zum Familienfest, Sonntag große Familientafel 15 Personen, Mamachen wird Dir Näheres schreiben: Montag mit Tante Ida und Fr. P[astor] Leer in Kösen, Dienstag großes Wasch- und Plattfest zu Mittwoch, wo eine große Gesangvereinspartie mit Conzert, Fanfar und Tanz nach Kösen war Donnerstag Bergtag,3 Freitag kam Rudolph4 und blieb Sonnabend und Sonntag da. Montag waren wir nun eigentlich zum Schulfest5 eingeladen, aber wir waren todtmüde und blieben zu Hause. Auf dem Bergtage war es wirklich wunderhübsch und haben außerdem eine reizende Bekanntschaft gemacht. Frl. Hirt, welcher Du Dir vielleicht von Leers aus her erinnerst, ist jetzt in Kösen im Bade und war auch auf dem Bergtag mit einer Frau Bankdirektor Schneider nebst Töchterlein von beinah 16 Jahren und kleinem Sohn, aus Köthen. Eine höchst nette allerliebste Familie, und da Mamachen merkte, daß das Töchterchen gern tanzen würde, stellte sie ihr Kuttig vor welcher alsbald ihr noch Andre vorstellte, so amüsierte sie sich sehr wohl, und wir waren höchst vergnügt zusammen. Sonnabend Nachmittag kommt nun ein Kästchen mit dem wunderbarsten Spargel an und einem allerliebsten Gedichtchen vom Töchterlein. Ein freundliches Entgegenkommen Montag habe ich nun meine Antwort geschickt, welche etwas lang ausgefallen ist, die ich Dir auch mitschicken würde, wenn sie nur nicht den Brief zu schwer macht. Nun vielleicht geht es doch. Du siehst nun liebes Fritzchen wie vergnügt wir jetzt gelebt haben, und noch dazu reise ich morgen oder übermorgen so über 8 Tage nach Colditz zur lieben Tante Ida und Rudolph dazu. Mit der lieben Mama ist's noch unbestimmt. Ich freue mich unendlich darauf, und von dem Onkel Schenkel6 werde ich mich über Verschiedenes belehren und bekehren lassen, denn Du hast an mir mit Deinen eigentlich sehr traurigen Ansichten eine zu gelehrige Schülerin gefunden;7 daß ich, wie Mama sagt: auch eine Überkluge geworden bin, da ich jedoch meine Lama-Natur8 nicht vergessen kann, so bin ich voll von Verwirrung, und denke lieber gar nicht daran, weil nur Unsinn heraus kommt. Wenn ich aber zum Onkel komme, werde ich mich recht streiten, daß ich von dem Richtigen überzeugt werde, und zuletzt gehe ich noch zum Onkel Edmund,9 das wird gewiß helfen. So viel ist aber gewiß: Es ist viel leichter Vieles nicht zu glauben, als umgekehrt, und da das Schwere wohl auch das Richtige ist, so will ich mir dazu Mühe geben. Manchmal möchte ich Du wärst da, und ich könnte einmal einen Zank zwischen Onkel Edmund und Dir hören, aber es ist viel besser so, denn es wäre doch nur traurig. Am allermeisten thut es mir aber leid, daß Du den unglücklichen Strauß10 mit in die Ferien gebracht hast, und daß ich so viel davon gehört habe durch Dich, denn das ist die erste Stufe zum neuen Glauben oder Unglauben, daß man hört, wie es überhaupt möglich ist, die heiligsten (wenigsten den Gläubigen) Sachen zu bezweifeln und zu bekritteln und wenn man einmal das thut, so ist es mir als ob die feste Schutzmauer gefallen ist, und man nun vor einer weiten planlosen, verwirrten, nebelhaften Wüste steht, wo es nichts Bestimmtes giebt, und unser armer, elender so oft irrender Geist der einzige Führer ist. — Nun höre ich davon auf. — Nun möchte ich eigentlich was Amüsantes erzählen; und so will ich Dir nur mittheilen, daß Fr. v. Büsch11 jetzt bei Fr. Laubscher12 englische Stunden nimmt und ich bin auch mit dabei, wobei ich mich freilich amüsiere, es ist wirklich wunderhübsch. Natürlich ist die Stunde: "Ohne Buch" nur Conversation. Da ich noch so viel Platz habe, so will ich Dir nur noch meine Antwort nach Kösen schreiben, es macht Dir vielleicht Spaß. Ich lag im süßen Traume Und nun lieber, guter Fritz thun mir die Finger ganz weh so vom Schreiben oder vielmehr Schmieren. Bitte bitte schreibe mir einmal ganz apart von Bonn aus nach Colditz per addr. Hr. Dr. Diaconus Schenkel.13 Du machtest überglücklich Dein Dich zärtlich liebendes 1. Franziska Nietzsche's sister Ida Schenkel (1833-?); her husband Moritz (1834-1909), pastor at Cainsdorf, near Dresden; his brother Rudolf Schenkel (1844-1889), a lawyer. Franziska Nietzsche was also the aunt of Emma Patz, Ida's daughter, who lived in Oelsnitz with her husband Robert.
Bonn, 11. Juni 1865: Liebe Lisbeth, nach einem so anmuthigen, mit mädchenhaften Dichtungen durchflochtenen Brief,1 wie ich ihn zuletzt von Dir empfieng, würde es Unrecht und Undank sein, Dich noch länger auf Antwort warten zu lassen, besonders da ich diesmal über ein reiches Material zu verfügen habe und ich nur mit großen Behagen die genossenen Freuden im Geiste "wiederkäue." Zuvor muß ich jedoch eine Stelle Deines Briefes berühren, die mit eben so pastoraler Färbung als lamaartiger2 Herzlichkeit geschrieben ist. Mache Dir keine Sorgen, liebe Lisbeth. Wenn der Wille so gut und entschieden ist, wie Du schreibst, werden die lieben Onkels3 nicht zu viel Mühe haben. Was Deinen Grundsatz betrifft, daß das Wahre immer auf der Seite des Schwereren ist, so gebe ich Dir dies zum Theil zu. Indessen, es ist schwer zu begreifen, daß 2 X 2 nicht 4 ist; ist es deshalb wahrer? Andrerseits, ist es wirklich so schwer, das alles, worin man erzogen ist, was allmählich sich tief eingewurzelt hat, was in den Kreisen der Verwandten und vieler guten Menschen als Wahrheit gilt, was außerdem auch wirklich den Menschen tröstet und erhebt, das alles einfach anzunehmen, ist das schwerer, als im Kampf mit Gewöhnung, in der Unsicherheit des selbständigen Gehens, unter häufigen Schwankungen des Gemüths, ja des Gewissens, oft trostlos, aber immer mit dem ewigen Ziel des Wahren, des Schönen, des Guten neue Bahnen zu gehn? Kommt es denn darauf an, die Anschauung über Gott, Welt und Versöhnung zu bekommen, bei der man sich am bequemsten befindet, ist nicht viel mehr für den wahren Forscher das Resultat seiner Forschung geradezu etwas Gleichgültiges? Suchen wir denn bei unserem Forschen Ruhe, Friede, Glück? Nein, nur die Wahrheit, und wäre sie höchst abschreckend und häßlich. Noch eine letzte Frage: Wenn wir von Jugend an geglaubt hätten, daß alles Seelenheil von einem Anderen als Jesus ist, ausfließe, etwa von Muhamed, ist es nicht sicher, daß wir derselben Segnungen theilhaftig geworden wären? Gewiß, der Glaube allein segnet, nicht das Objektive, was hinter dem Glauben steht. Dies schreibe ich Dir nur, liebe Lisbeth, um dem gewöhnlichsten Beweismittel gläubiger Menschen damit zu begegnen, die sich auf ihre inneren Erfahrungen berufen und daraus die Untrüglichkeit ihres Glaubens herleiten. Jeder wahre Glaube ist auch untrüglich, er leistet das, was die betreffende gläubige Person darin zu finden hofft, er bietet aber nicht den geringsten Anhalt zur Begründung einer objektiven Wahrheit. Hier scheiden sich nun die Wege der Menschen; willst Du Seelenruhe und Glück erstreben, nun so glaube, willst Du ein Jünger der Wahrheit sein, so forsche. Dazwischen giebt es eine Menge halber Standpunkte. Es kommt aber auf das Hauptziel an.4 Verzeihe mir diese langweilige und nicht gerade gedankenreiche Auseinandersetzung. Du wirst Dir dies Alles schon oftmals und immer besser und schöner gesagt haben. Auf diesen ernsten Grundstock will ich aber nun ein um so lustigeres Gebäude aufführen. Ich kann Dir diesmal von wunderschönen Tagen erzählen. Am Freitag den 2t. Juni reiste ich nach Köln herüber zum niederrheinischen Musikfest.5 An demselben Tage wurde dort die internationale Ausstellung eröffnet. Köln machte in diesen Tagen einen weltstädtischen Eindruck. Ein unendliches Sprachen- und Trachtengewirr—ungeheuer viel Taschendiebe und andre Schwindler—alle Hotels bis in die entlegensten Räume gefüllt—die Stadt auf das Anmuthigste mit Fahnen geschmückt—das war der äußere Eindruck. Als Sänger bekam ich meine weißrothe seidne Schleife auf die Brust und begab mich in die Probe. Du kennst leider den Gürzenichsaal nicht, ich habe Dir aber in den letzten Ferien eine fabelhafte Vorstellung erweckt durch den Vergleich mit dem Naumburger Börsensaal. Unser Chor bestand aus 182 Sopranen, 154 Alten, 113 Tenören und 172 Bässen. Dazu ein Orchester aus Künstlern bestehend von etwa 160 Mann, darunter 52 Violinen, 20 Violen, 21 Cellis und 14 Contrebässe. Sieben der besten Solosänger und Sängerinnen waren herangezogen worden. Das Ganze wurde von Hiller dirigirt.6 Von den Damen zeichneten sich viele durch Jugend und Schönheit aus. Bei den 3 Hauptconzerten erschienen sie alle in Weiß, mit blauen Achselschleifen und natürlichen oder gemachten Blumen im Haar. Eine Jede hielt ein schönes Bouquet in der Hand. Wir Herren alle in Frack und weißer Weste. Am ersten Abend saßen wir noch bis tief in die Nacht hinein zusammen und ich schlief endlich bei einem alten Frankonen7 auf dem Lehnstuhl und war den Morgen ganz taschenmesserartig zusammengeknickt. Dazu leide ich, beiläufig bemerkt, seit den letzten Ferien an starkem Rheumatismus in dem linken Arm. Die nächste Nacht schlief ich wieder in Bonn. Den Sonntag war das erste große Conzert. "Israel in Aegypten von Händel." Wir singen mit unnachahmlicher Begeisterung bei 50 Grad Reaumur. Der Gürzenich war für alle drei Tage ausgekauft. Das Billet für das Einzelconzert kostete 2-3 Thaler. Die Ausführung war nach aller Urtheil eine vollkommene. Es kam zu Scenen, die ich nie vergessen werde. Als Staegemann und Julius Stockhausen "der König aller Bässe" ihr berühmtes Heldenduett sangen, brach ein unerhörter Sturm des Jubels aus, achtfache Bravos, Tusche der Trompeten, Dacapogeheul, sämmtliche 300 Damen schleuderten ihre 300 Bouquets den Sängern ins Gesicht, sie waren im eigentlichsten Sinne von einer Blumenwolke umhüllt. Die Scene wiederholte sich, als das Duett da capo gesungen war. Am Abend begannen wir Bonner Herren alle zusammen zu kneipen, wurden aber von dem Kölner Männergesangverein in die Gürzenichrestauration eingeladen und blieben hier unter carnevalistischen Toasten und Liedern, worin der Kölner blüht, unter vierstimmigem Gesange und steigender Begeisterung beisammen. Um 3 Uhr Morgens machte ich mich mit 2 Bekannten fort; und wir durchzogen die Stadt, klingelten an den Häusern, fanden nirgends ein Unterkommen, auch die Post nahm uns nicht auf—wir wollten in den Postwägen schlafen—bis endlich nach anderthalb Stunde ein Nachtwächter uns das Hotel du Dome aufschloß. Wir sanken auf die Bänke des Speisesaals hin und waren in 2 Sek. entschlafen. Draußen graute der Morgen. Nach 1½ Stunde kam der Hausknecht und weckte uns, da der Saal gereinigt werden mußte. Wir brachen in humoristisch verzweifelter Stimmung auf, giengen über den Bahnhof nach Deutz herüber, genossen ein Frühstück und begaben uns mit höchst gedämpfter Stimme in die Probe. Wo ich mit großem Enthusiasmus einschlief (mit obligaten Posaunen und Pauken). Um so aufgeweckter war ich in der Aufführung am Nachmittag von 6-11 Uhr. Kamen darin doch meine liebsten Sachen vor, die Faustmusik von Schumann und die a dur Symph. v. Beethov. Am Abend sehnte ich mich sehr nach einer Ruhestätte und irrte etwa in 13 Hotels herum, wo alles voll und übervoll war. Endlich im 14ten, nachdem auch hier der Wirth mir versicherte, daß alle Zimmer besetzt sein, erklärte ich ihm kaltblütig, daß ich hier bleiben würde, er möchte für ein Bett sorgen. Das geschah denn auch, in einem Restaurationszimmer wurden Feldbetten aufgeschlagen, für eine Nacht mit 20 Gr. zu bezahlen. Am dritten Tage endlich fand das letzte Conzert statt, worin eine größere Anzahl von kleineren Sachen zur Aufführung kam. Der schönste Moment daraus war die Aufführung der Sinfonie von Hiller mit dem Motto "es muß doch Frühling werden," die Musiker waren in seltner Begeisterung, denn wir alle verehrten Hiller höchlichst, nach jedem Theile ungeheurer Jubel und nach dem letzten eine ähnliche Scene nur noch gesteigert. Sein Thron wurde bedeckt mit Kränzen und Bouquet einer der Künstler setzte ihm den Lorberkranz auf, das Orchester stimmte einen 3fachen Tusch an, und der alte Mann bedeckte sein Gesicht und weinte. Was die Damen unendlich rührte. Noch besonders will ich Dir eine Dame nennen, Frau Szarvadi aus Paris, die Klaviervirtuosin. Denke Dir eine kleine noch junge Persönlichkeit, ganz Feuer, unschön, interessant, schwarze Locken. Die letzte Nacht habe ich aus gänzlichem Mangel an dem nervus rerum wieder bei dem alten Frankonen verbracht und zwar auf der Erde. Was nicht sehr schön war. Morgens fuhr ich wieder nach Bonn zurück. "Es war eine rein künstlerische Existenz," wie eine Dame zu mir sagte. Man kehrt mit förmlicher Ironie zu seinen Büchern, zu Textcritik u[nd] and[erem] Zeug zurück. Daß ich nach Leipzig gehe, ist sicher. Der Jahn Ritschl Streit wüthet fort. Beide Parteien drohen sich mit vernichtenden Publikationen. Deussen wird wahrscheinlich auch nach Leipzig gehn.8 Zum Schulfest (21 Mai)9 sandten wir Bonner Pförtner ein Telegramm an das Lehrercollegium und bekamen eine sehr freundliche Antwort. Heute machen wir eine Pförtnerspritze nach Königswinter.— Unsere rothen Stürmer mit goldner Litze sehen vorzüglich aus.10 Ich werde nächstens an den lieben Rudolf schreiben, der mir einen so liebenswürdigen Brief geschickt hat. Sage der lieben Tante u[nd] dem lieben Onkel meine herzlichsten Empfehlungen[.]11 Fritz. 1. May 26, 1865 letter from Elisabeth. 1865 Translated Correspondence.
Bonn, February 2, 1865: My dear mamma, Above all, I would like to possess a good pen so that I can write you a really nice letter. For mine scratches way too much for me. Then I would like to send you a fresh blooming hyacinth, for no flower reminds me of your dear birthday2 as vividly as this one. Finally, I would like to have enough money in order to pay you a little morning visit and express my best, warmest wishes in person. "But since it cannot be, That's sad, isn't it? But in two months this period of separation will also be over. But today we shall be thinking of each other quite, quite vividly, and if you eat carp for lunch, I shall have a good taste of it on my tongue. I was so happy to receive your last very detailed letter.4 I hadn't had a letter since the New Year. A few days ago, however, Uncle Edmund5 told me a great deal about his health and family circumstances. On the other hand, I am still missing news from Gustav and Wilhelm,6 to whom I wrote before and after Christmas.7 Did Gersdorff and Kuttig8 visit you again?9 Both are expected to write to me again, but Gersd[orff] will have little time due to the forthcoming exam.10 I can tell you all sorts of things about my life. Many, unusually many, artistic delights. Thursday, a delightful choral society concert11 like I have never heard before. Friday, Friederike Gossmann in several charming little comedies.12 I still have a lot to tell you about her, you, dear Lisbeth, would be fabulously "enchanted" if you saw her.13 She appeared in The Cricket,14 The Taming of the Shrew,15 "Fire in the Girls' School"16 and "She Writes to Herself,"17 and most recently "She Has Discovered Her Heart."18 Of course we were altogether and especially in love with her, at night in the pub we howled at the songs she sang and rubbed a salamander to her health.19 On Sunday in Cologne, I heard Bürde-Ney as Valentine in Me[y]erbe[e]r's [The] Huguenots.20 Don't you think that's a lot in a row? As far as my holidays are concerned, I cannot write anything more definite than that I will be there at the beginning of April. It is now certain that we must plan a list of events for the time we will be together. Incidentally, I certainly cannot stay in Bonn for longer than a year, that's clear to me. I hope that I will get the necessary benefits from Bonn. I know that my staying here costs a lot of money. I am by no means lavish in any way, but the housing costs are always very high. I just want to write to you what I have to pay for everything at the moment — not including everything that can still be postponed — another 30 thl. to my landlord, 10 thl. to a friend,21 borrowed at the beginning of January, and at least 15 thl. to tradesmen, barkeepers, etc. That's really quite bad. I am often angry at myself about it, the fact that money and coin never last long. Future semesters will certainly be much cheaper. But, maman, if you think that I can get by on 30 thl. a month, unfortunately that's very incorrect. All this, however, is more offensive than pleasant. Therefore I will brush it aside and merely express the wish to get as much money as possible as soon as possible, since it is an unpleasant feeling to hear some philistines knocking at the door every morning without having money. That the songs22 please you in general makes me quite happy. I spoke in detail about them with the local director, Brambach. But now I have no firm plans to compose anything this year. He strongly advised me to take lessons in counterpoint. But I have no means for that. I want to tell you in person my reasons for not composing anything. Don't you know a nice present that I could give the man? I do not like to accept favors if I cannot give them in return. In addition: I am involved with the local Gustav Adolf Society. I am going to give a lecture there soon.23 One more thing: my turn to philology has been decided. To study both is doing things by halves.24 And finally, dear mama, I turn to you again to wish you once more the best and most beautiful things that only I can. All three of us want to wish quite sincerely that the following year will pass by without any grief or sorrow, and we, my dear Lisbeth and I, want to do our best to make it happen. I know, dear mama, that you accompany me on all my paths with the warmest thoughts. And the fact that even university life is full of unpleasant experiences and inner discord is unfortunately true. Therefore, let us embellish each other's paths of life with affectionate actions and thoughts. Fare quite, quite well, dear mama. Greetings to my dear aunts!25 Your Fritz. 1. Franziska Nietzsche, at 25, ca. 1850. Two reproductions: 1. by Atelier Hertel, Weimar; and 2. by Louis Held, Weimar. GSA 101/315. The date of the photo is uncertain. GSA lists it as 1845, and Nietzsche Chronik as ca. 1850. See Friedrich Nietzsche. Chronik in Bildern und Texten. München: Hanser, 2000, 13. Nietzsche in the Arts: 1890-Present | ||||||||
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"Aus der Kriegsschule des Lebens. — Was mich nicht umbringt, macht mich stärker." (Out of life's school of war. — What does not destroy me, makes me stronger.)3 1. Dan Panosian (1969-): autodidactic American artist. For his short autobiography from 2018, see Dan Panosian, "BACK STORY IS IMPORTANT." In: Dan Panosian, Slots. Portland: Image Comics, 2018, [142]. Facebook. Instagram. Twitter. | ||||||||
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"sono contento di sapervi a Venezia felicemente ritornato nella casa paterna, intero e fatto uomo, cioè fango, nel senso biblico, s'intende. Ed ora che siete tornato 'uomo' da tale fango, non resta che purificarvi, o meglio, come direbbe Nietzsche, superarvi. (I am glad to know you have happily returned to your father's house in Venice, whole and made man, that is, mud, in the biblical sense, of course. And now that you have returned to "man" from this mud, all that remains is to purify yourself, or rather, as Nietzsche would say, overcome yourself. Ma che cosa è l'uomo? (But what is man?) Mi rincresce, ma nemmeno Nietzsche ha saputo rispondere a questa domanda. (I am sorry, but not even Nietzsche was able to answer this question.) Vivere, allora, andare al di là di noi stessi, trascendersi. Ecco perché ancora viviamo, con questa speranza." (To live, then, to go beyond ourselves, to transcend ourselves. That's why we still live, with this hope.)3 1. Osvaldo Licini (1894-1958): Italian artist. Enrolled at the Accademia di Belle Arti in Bologna (1908), and at the Accademia di Belle Arti in Florence (1914). Website. Nietzsche. Late Prefaces. We wrote this in 2019 but hit a "roadblock" along the way.
We have translated and annotated all the prefaces, and will finish the introduction soon.
It will go on sale after that.
It would make an interesting book for a class on Nietzsche. Excerpt from late preface to Mixed Opinions and Maxims. In 1886, Friedrich Nietzsche's life was at a crossroads: he had just successfully sued his publisher; his books were not selling; his latest work was deemed the product of someone fit for a visit to an alienist. What could he do? When contemporary intellectuals face similar circumstances, wondering how to combat perceived injustice, and simply vent, they often entertain the same idea: start a magazine. Nietzsche would, of course, not choose this path, but instead opted to try to expand his influence and income by augmenting his previous works with additional prefaces. The prefaces would both answer his critics and illuminate the arc of his intellectual journey. In August of 1886, for example, Nietzsche explained his plans to his new and former publisher, Ernst Wilhelm Fritzsch, who in 1872 had published Nietzsche's first book, The Birth of Tragedy, and who was on board to continue:
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