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Basel, Neujahr 1878: Dieses Werk, ursprünglich ein Geschenk Richard Wagner's welches ich in Tribschen empfing, als ich 1869 dort mit ihm zum ersten Mal Weihnachten feierte, lege ich heute in die Hände des Herrn Paul Widemann, ebensowohl um ihm ein Zeichen meiner warmen und tiefen Hochschätzung zu geben, als um ein Unterpfand seiner Erinnerung an mich in seinem Besitz zu wissen. Möge der treffliche Freund sich dessen immer bewußt sein, daß ich treu in der Hoffnung auf sein Können und seine Kunst, treu im Glauben an seine große Kraft, Erfindungsgabe und Ausdauer bleiben werde. Ja, einst kommt der Tag, wo alles Erhoffte und Geglaubte sich erfüllt hat! Friedrich Nietzsche 1. Dedication in a copy of
Die Meistersinger von Nürnberg (The Master-Singers of Nuremberg).
Basel, June 11, 1878: Mir ist es sehr lieb und erwünscht, daß einer meiner Freunde W[agner]n Gutes und Freundliches erweist: denn ich bin immer weniger im Stande, ihm (so wie er nun einmal ist — ein alter unveränderlicher Mann) Freude zu machen.1 Seine und meine Bestrebungen laufen ganz aus einander. Dies thut mir wehe genug — aber im Dienste der Wahrheit muß man zu jedem Opfer bereit sein. Wüßte er übrigens, was ich alles gegen seine Kunst und seine Ziele auf dem Herzen habe, er hielte mich für einen seiner ärgsten Feinde — was ich bekanntlich nicht bin. — Mein letzter Brief war wohl sehr undeutlich? Mit Via-Mala-Consequenzen2 bezog ich mich auf meine Ansichten3 über Moral und Kunst (die das Härteste sind, was mir der Wahrheitssinn bis jetzt abgerungen hat!) — In 14 Tagen haben wir große Auflösung unsres Haushalts:4 meine liebe Schwester geht nun für immer wieder zu meiner Mutter zurück. — Ergebensten Dank für das Hamdelied: wer ist die Übersetzerin?5 — F.N und L.N. 1. Richard Wagner (1813-1883) and Nietzsche had been friends since 1868.
Basel, kurz vor Ende Juni 1878: Sie sind einer der Allerersten, lieber und werther Herr Doktor, welche mein Buch1 praktisch nehmen: darüber freue ich mich sehr, denn es beweist mir, daß die Wohlthat, welche ich mir selber damit erwies — auch noch übertragbar ist. Fühlen Sie jetzt, hinterdrein, nicht etwas von Höhenluft —; es ist etwas kälter um uns, aber um wie viel freier und reiner als im Dunst des Thals! Ich wenigstens fühle mich rüstiger und zu allem Guten entschlossener als je — auch zehnmal milder gegen Menschen, als in der Zeit meines früheren Schriftthums. In summa und im kleinsten Einzelnen: jetzt wage ich es, der Weisheit selber nachzugehen und selber Philosoph zu sein; früher verehrte ich die Philosophen.2 Manches Schwärmerische und Beglückende schwand: aber viel Besseres habe ich eingetauscht. Mit der metaphysischen Verdrehung ging es mir zuletzt so, daß ich einen Druck um den Hals fühlte, als ob ich ersticken müßte. Bei Ihnen muß sich vieles innerlich ereignet haben, was mir eine gewisse Wahrscheinlichkeit gab, daß wir, gerade auf der neuen Basis,3 gut freund werden müßten. Sie segeln jetzt in ein unbekanntes neues Meer; es thut mir gar zu wohl, zu denken, daß ich Ihnen dabei den Muth nicht verdorben, daß Sie es verstanden haben, meine Freigeisterei, Und nicht wahr? mein Gesicht bleibt Ihnen doch wieder Nietzschisch und nicht mehr Bülowisch? —5 Das Orchester in Ihren Händen und unter Ihrem Geiste — ist mir eine höchst angenehme Vorstellung. Dahin mußte es kommen, im ganzen Plane Ihres Lebens: "am Ende ist der Sinn," entsprechend Ihrem "im Anfang war der Unsinn": was ich ganz glorios gesagt finde.6 Bleiben Sie mir gut! Immer Ihnen zugethan, obschon meine Augen mich zwingen, Ihren reichen Briefen das undankbarste Stillschweigen entgegenzusetzen. Aber Sie verstehen auch dies recht — nachdem wir überhaupt uns verstehen. F. N. 1. Human, All Too Human.
Basel, 15. Juli 1878: Verehrtestes Fräulein, es ist nicht zu ändern: ich muß allen meinen Freunden Noth machen — eben dadurch daß ich endlich ausspreche, wodurch ich mir selber aus der Noth geholfen habe. Jene metaphysische Vernebelung alles Wahren und Einfachen, der Kampf mit der Vernunft gegen die Verunft, welcher in Allem und Jedem ein Wunder und Unding sehen will — dazu eine ganz entsprechende Barockkunst der Überspannung und der verherrlichten Maßlosigkeit — ich meine die Kunst Wagner’s — dies Beides war es, was mich endlich krank und kränker machte und mich fast meinem guten Temperamente und meiner Begabung entfremdet hätte. Könnten Sie mir nachfühlen, in welcher reinen Höhenluft, in welcher milden Stimmung gegen die Menschen die noch im Dunst der Thäler wohnen ich jetzt hinlebe, mehr als je entschlossen zu allem Guten und Tüchtigen, den Griechen um hundert Schritt näher als vordem: wie ich jetzt selber, bis in’s Kleinste, nach Weisheit strebend lebe, während ich früher nur die Weisen verehrte und anschwärmte — kurz wenn Sie diese Wandelung und Krisis mir nachempfinden können, oh so müßten Sie wünschen, etwas Ähnliches zu erleben! Im Bayreuther Sommer1 wurde ich mir dessen völlig bewußt: ich flüchtete nach den ersten Aufführungen denen ich beiwohnte,2 fort in's Gebirge, und dort, in einem kleinen Walddorfe,3 entstand die erste Skizze, ungefähr ein Drittel meines Buche,4 damals unter dem Titel "die Pflugschaar." Dann kehrte ich, dem Wunsche meiner Schwester folgend, nach Bayreuth zurück und hatte jetzt die innere Fassung, um das Schwer-Erträgliche doch zu ertragenund schweigend, vor Jedermann! Jetzt schüttele ich ab, was nicht zu mir gehört, Menschen, als Freunde und Feinde, Gewohnheiten Bequemlichkeiten Bücher; ich lebe in Einsamkeit auf Jahre hinaus, bis ich wieder, als Philosoph des Lebens, ausgereift und fertig verkehren darf (und dann wahrscheinlich muß) Wollen Sie mir, trotz alledem, so gut bleiben, wie Sie mir waren oder vielmehr, werden Sie es können? Sie sehen, ich bin auf einen Grad der Ehrlichkeit angelangt, wo ich nur die allerreinlichsten menschlichen Beziehungen ertrage. Halben Freundschaften und gar Parteischaften weiche ich aus, Anhänger will ich nicht. Möge Jeder (und Jede) nur sein eigner wirklicher Anhänger sein! Ihnen von Herzen 1. 1876. |
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