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Zürich, 8. Februar 1875: Hochgeehrter Herr Professor, Mein beiliegendes Büchlein, Geister-geschichten, bitte ich Sie geneigtest von mir annehmen zu wollen.2 Wenngleich dessen Inhalt für einen Philosophen "ziemlich leichte Waare" ist, so werden Sie vielleicht doch dem Zwecke, den ich, laut Vorrede,3 bei diesen Erzählungen im Auge hatte, Ihre Billigung geben. Sollte Ihnen irgend etwas in diesem Büchlein genehm sein, so würde es mir zur Freude und demselben zum Nutzen gereichen, wenn Sie in Ihren Schriften darauf Bezug nehmen wollten. Mein Herr Verleger verspricht sich sehr viel von dem Büchlein. Ich nehme indeß die Gelegenheit dieser Sendung wahr, um Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, einen Gedankengang, event[uell] einen Plan mitzutheilen, der mich schon lange beschäftigt, und der jedenfalls auch Ihres Interesses werth ist. Seit 3-4 Jahren habe ich Schopenhauer's Werke durchstudirt und bin dessen dankbare Schülerin geworden.4 Es ist mir nun immer als ein tadelnswerther Mangel an Consequenz erschienen, eine Lehre, ein System zu bewundern, ohne denselben einen Einfluß auf die praktische, tägliche Lebensgestaltung einzuräumen. Vor neun Jahren z. B. als ich definitiv die vegetarianische Lebensweise als die naturgemäße, einzig sittliche und humane erkannte, ward ich alsbald Vegetarianerin. In noch andern Lebensfragen habe ich nach gewonnenen tiefsten Überzeugungen Entschlüsse gefaßt und darnach gehandelt. Seit ich Schopenhauer gelesen, ließ ich mich ferner als Mitglied in einen Thierschutz-Verein aufnehmen, und jüngst wurde mir von dem Münchener Thierschutz-Vereins-Vorstande eine Medaille und ein ehrendes Schreiben übersendet, wegen meines Eifers in Wort und Schrift für diese gute und gerechte Sache.5 Für die zahlreichen Jünger und Jüngerinnen Schopenhauers möchte ich nun einen Verein, event[uell] ein Vereinsblatt anregen, jedenfalls aber dieselben Alle auffordern ihr Leben nach den Lehren dieses großen Philosophen zu gestalten, was in socialer und ethischer Beziehung als gutes Beispiel nur ersprießlich wirken könnte, und gewiß dem großen Publicum gegenüber erfolgreicher wäre, als das ewige und oft bittere Polimisiren mit den seichten Gegnern des großen Mannes. Ein besonders schönes Erkennungszeichen der Anhänger Schopenhauer's sollte, meinem Wunsche gemäß, darin bestehen, daß dieselben, wenn auch in beschränktem Maßstabe die Lehre von der Gleichheit und Verwandtschaft aller Menschen im Sinne Schopenhauers zur Wahrheit machten. Jeder und Jede sollten nämlich, im Fall sie nicht durch tägliche Kopf- oder Handarbeit sich ihren Lebensunterhalt erwerben müßten, sich irgend eines Menschen oder einer verkommenen Familie dergestalt annehmen, als seien sie ihre wirklichen leiblichen Brüder und Schwestern. Sie sollten dieselben fördern und berathen in ihrem Berufe und Geschäft, sie in Nothfällen und Krankheiten unterstützen und pflegen, ja sie auch an Erholungen und Zerstreuungen Theil nehmen lassen, die wir uns verschaffen können, z. B. an kleinen Reisen, an Concerten, an gebildeter Unterhaltung und Gesellschaft usw. und dieß alles mit keinerlei Herablassung, oder als ein Werk der Wohlthätigkeit und Barmherzigkeit, sondern als etwas ganz Selbstverständliches, welches Mehreren ja Allen zu erweisen uns nur unsere beschränkten Geldmittel verbieten. Obgleich ich nur ein bescheidenes, mir selbst erworbenes Einkommen besitze, so have ich mich dennoch in obiger Weise eines alten Ehepaares angenommen. Ich habe obigen Gedankengang und Plan noch einem namhaften Schopenhauerianer6 mitgetheilt. Ihre, und Ihrer schopenhauerischen Freunde in Basel, — Beistimmung und Verwirklichung dieser Vorschläge würde indeß ein dankenswerthes, gute Früchte tragendes Werk sein. Entschuldigen Sie diesen langen Brief! Mit vorzüglicher Hochachtung zeichnet
hochgeehrter Herr Professor, 1. Meta Wellmer (1826-1889): German writer.
Basel, 22. Oktober 1875: Lieber Herr Doctor, ich habe mich viel zu sehr über Ihre psychologischen Beobachtungen gefreut, als dass ich es mit Ihrem Todten-Incognito ("aus dem Nachlass")1 so ernst nehmen könnte. Beim Durchstöbern einer Menge neuer Bücher fand ich neulich Ihre Schrift und erkannte auf der Stelle einige jener Gedanken als Ihr Eigenthum wieder, und ebenso ergieng es Gersdorff,2 der aus der früheren Zeit noch neulich mir citirte "behaglich mit einander schweigen zu können soll ja ein grösseres Zeichen von Freundschaft sein als behaglich mit einander reden zu können, wie Rée sagte."3 Sie leben also noch in mir und meinen Freunden fort, und nichts hatte ich damals als ich Ihr von mir so hochgehaltenes Manuscript in den Händen hatte, mehr zu bedauern als gerade durch ein starkes Augenleiden zu absoluter Entsagung im Briefeschreiben gezwungen zu sein. Ich bin ferne davon, mir es herauszunehmen Sie zu loben, ebenso wenig will ich Sie mit irgend welchen "Hoffnungen" belästigen, die ich etwa auf Sie setze. Nein! wenn Sie nie etwas anderes drucken lassen, wie diese geistbildenden Maximen, wenn diese Schrift wirklich Ihr Nachlass ist und bleibt, so soll es gut und recht sein: wer so selbständig lebt und für sich daher geht, hat das Recht sich auszubitten, dass man ihn mit Lob und Hoffnungen verschone. Nur möchte ich Sie für den Fall irgend einer Publications-Absicht darauf aufmerksam machen, dass Sie immer mit Sicherheit auf meinen Verleger, Herrn E. Schmeitzner4 in Schloss-chemnitz rechnen können. Ich sage dies namentlich deshalb, weil das Einzige, worüber ich mich bei Ihrer Schrift nicht freute, die letzte Seite war, auf der die Schriften des Herrn E. von Hartmann5 hinter einander her prangen; die Schrift eines Denkers sollte aber auch nicht einmal auf Ihrem Hintertheil an die Schriften eines Scheindenkers erinnern. Mit recht guten Wünschen für Ihr leibliches Wohl und der Bitte meinen Dank dafür freundlich aufzunehmen, dass Sie Ihre Maximen überhaupt der Öffentlichkeit übergeben haben — womit Sie zeigen, dass Ihnen das geistige Wohl Ihrer Mitmenschen am Herzen liegt, bin und bleibe ich 1. Nietzsche refers to the title of Paul Rée's
anonymously published work, Psychologische
Beobachtungen. Aus dem Nachlaß von * * *. [Psychological Observations. From the Postumous Writings of * * *.] Berlin:
Duncker, 1875. |
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